Archetypen nach Maja Nowak 1.2

Mir war lange Zeit nicht bekannt und auch nicht bewusst, dass es Archetypen bei Hunden gibt. 

Dass es sie gibt, darüber habe ich nicht die geringsten Zweifel.


Unter den Archetypen bei Hunden verstehe ich selbst - stark vereinfacht ausgedrückt - eine vorhandene individuelle seelische Grundstruktur, die sich unbewusst auf Verhalten und Handeln jedes einzelnen Hundes auswirkt.

Und die ihm ermöglicht, eine besondere Position in einer (Hunde-) Gruppe in Verbindung mit seiner mitgebrachten Kompetenz, einzunehmen. Eine Kernkompetenz im Sinne einer ganz besonderen inneren Befähigung bzw. Gabe.

Beispielsweise die Gabe eine Gruppe friedfertig anzuführen, eine Gruppe abzusichern, ein Terrain zu erkunden, auf Gefahren hinzuweisen, in die Ruhe zu bringen, für Ansprechbarkeit aller Gruppenmitglieder zu sorgen, im Konfliktfall zu verteidigen u.v.m.

Kennt der Mensch den zugrundeliegenden Archetypus seines Hundes, eröffnen sich ganz neue wunderbare Möglichkeiten und Wege     in der Mensch-Hund–Kommunikation. Zuhören und Verstehen sind Basis für Vertrauen und Freundschaft.

Hinzu kommt, dass man seinen Hund nicht nur besser versteht, sondern auch seinen Kompetenzen entsprechend einbinden kann.

Darüber fühlt er sich, neben der Liebe, Zuwendung und Geborgenheit, die man ihm gibt, wertgeschätzt, verstanden und angenommen.

In den vielen Jahren, die ich selbst mit Hunden lebe, begegnen mir häufig Hundebesitzer, die unzufrieden über die mangelnden Erfolge nach jahrelangem und konsequentem Besuch der Hundeschule sind. Sie sind - stark verallgemeinert ausgedrückt - unzufrieden mit ihrem Hund, mit der Leistung ihres Hundes trotz jahrelangem Hundetraining, Einzel- und Gruppentraining auf dem Platz oder persönlichem Coaching in gewohnter Umgebung.

Der dann zum Ausdruck gebrachte mangelnde Erfolg und die damit verbundene Unzufriedenheit betrifft fast immer den Grundgehorsam, bedingungslosen Gehorsam und die Leistungsfähigkeit der Hunde. Ein Hund sollte in den Augen dieser Menschen bedingungslos das leisten, was sein Mensch von ihm erwartet. Zu jeder Zeit. Immer. Das ist die Erwartungshaltung. 

Es ist eine hohe Erwartungshaltung, möchte ich anmerken, und ohne jede Sinnhaftigkeit, möchte ich hinzufügen. 

Diese Unzufriedenheit kann sich sogar auch auf andere Hundehalter, deren Hund nicht der Erwartung von Leistung entspricht, erstrecken. Unmutsäußerungen über angebliche Defizite oder mangelnden Gehorsam bei anderen Hunden sind keine Seltenheit. 

Hunde sind formbar, trainierbar und dressierbar. Sie scheinen gehorsam - auf dem Hundeplatz.

In den meisten Hundeschulen findet leistungsorientiertes Training, Dressur und Konditionierung statt.

Ich laufe hin und wieder am Gelände eines Hundevereins vorbei, bleibe kurz stehen und schaue ein bisschen zu. Es herrscht ein lauter, rauer und militärischer Ton.  Zuschauer mit Hund sind unerwünscht, da ein Hund außerhalb des Zaunes eine Ablenkung darstellt. Sie werden in demselben barschen Ton weggeschickt.

Doch ich mache mir gern mein eigenes Bild und bilde mir immer eine eigene Meinung, bleibe stehen und frage mich beim Zusehen:

 

Wo kann HIER die ureigene Natur eines Hundes stattfinden?

Jeder Hund ist ein Individuum, jeder Hund hat eine ureigene Natur und jeder Hund hat Grundrechte.

 

An dieser Stelle möchte ich gerne Maja Nowak, die viele interessante Filme über die Archetypen auf Youtube veröffentlicht hat,  zitieren:

"Es gibt unzählige Nuancen in jedem Wesen geprägt durch Erfahrungen, Alter, Geschlecht und Rasse.

Ich möchte in den Filmen einmal zeigen, was ich dennoch bei tausenden Hunden als übereinstimmend erlebt habe - also den darunter liegenden Archetypen. Viele Hundehalter konnten dadurch das Verhalten ihres Hundes besser verstehen und darauf eingehen, so dass sich vieles verändern konnte, weil sie nicht mehr gegen die Natur ihres Hundes kämpften. Oft erfuhren die Menschen dabei eine große persönliche Entwicklung, weil sie auch ihren eigenen Wesenskern zu erforschen begannen. 

Es gibt inzwischen immer mehr Hunde, deren ursprüngliche Fähigkeiten und Anlagen überdeckt sind von konditionierten Verhaltensweisen, die wir Menschen ihnen beigebracht haben und die sich nicht mit ihrem Wesen decken. Ein hündischer Anführer, der nie führen darf - ein hündischer Mitarbeiter, der in seinen Fähigkeiten keine Wertschätzung findet. Das ist nicht viel anders, als bei uns Menschen.

So entsteht ein inneres Ungleichgewicht. Die intuitive Selbstführung geht verloren, die konditionierte Persönlichkeit übernimmt. Beide im Verbund wären eine harmonische Einheit. Doch wie wir alle wissen, geht es bei uns Menschen noch immer hauptsächlich darum, unsere Konditionierungen und Anpassungen zu perfektionieren, weil die wenigsten noch einen Zugang zu ihrem Wesenskern haben. Aus dieser Perspektive ist es sehr verständlich, dass wir auch Hunde (und andere Tiere) ausschließlich konditionieren wollen und nicht in Betracht ziehen, wie wichtig auch für sie eine innere Souveränität wäre, mit der sie auf Lebenssituationen reagieren könnten.

Alle Methoden der Verhaltens-Perfektionierung bauen auf eine verstärkte konditionierte Anpassung auf - nicht auf einen Zugang zu sich selbst und damit zu einem in sich ruhenden Pol." 

Ich persönlich betrachte die Beschäftigung mit dem Thema „Archetypen nach Maja Nowak“ als etwas sehr Erfreuliches, Spannendes, Interessantes und Bereicherndes.

Das Wahrnehmen, Erkennen und Wertschätzen von Kompetenzen meiner Hunde stehen hierbei für mich im Vordergrund.

Wohlangemerkt ich meine damit das Erkennen von Kompetenzen eines „gesunden“, und nicht „schwer traumatisierten“ Hundes, oder eines Hundes, der aus verschiedenen Gründen nicht in seiner Mitte und Ruhe sein kann.

Aufmerksam auf die besondere Thematik wurde ich durch meine Labradorhündin Emma. Durch sie begann ich mich näher mit dem Archetyp Zentralhund zu befassen.

Ursprünglich wollte ich die "Erziehung" des Welpen ebenso handhaben wie ich damals im Jahr 2004 die kleine Branka "erzogen" habe. 

Diese kleine Emma zeigte aber bereits als Welpe überraschend deutlich Verhaltensweisen, die wir so von unserer ersten Labradorhündin Branka überhaupt nicht kannten. Sie verhielt sich anders, handelte anders, reagierte anders. Und nichts von den Erziehungsansätzen, die dazu führten, dass Branka eine wundervolle Begleiterin unserer Familie wurde, klappte bei Emma so wie ich es mir vorstellte. 

Sie war anders, schaute uns von Anfang an direkt an. Diese Art des intensiven Blickkontaktes war zwar nie unangenehm, für uns jedoch sehr ungewöhnlich. Wir staunten darüber. Hinzu kam, dass Emma uns als Welpe bereits in den ersten Tagen immer wieder direkt vor die Füße lief, uns damit stoppte, und einfach immer um uns herum wuselte.

Sie sah und hörte ALLES, war sehr aufmerksam, fragte oft an. Sie war langsam, und dennoch für einen Welpen typisch verspielt. Sie lernte schnell, aber nicht im Sinne von "Gehorsam auf ein Kommandowort". Auch nicht für ein Leckerli. Sie war "unbestechlich". 

Diese „andere Art“, das „andere Verhalten und andere Handeln“ von Emma weckte unsere Aufmerksamkeit. Wir begannen zu forschen und näher hinzuschauen.

Worum geht es meines Erachtens nach beim Thema Archetypen bei Hunden?

Es geht, meine ich, darum, zuzuhören, zu sehen und zu erkennen, was ein Hund besonders gut kann und besonders gut macht.

Damit sind aber nicht eingeübte und antrainierte Kommandos wie „Sitz“, „Platz“, „Hier“, „Pfote“ usw. und deren Erfüllung gemeint.

Um besser erklären zu können, was damit gemeint ist, muss ich weiter ausholen.

Ich begrüße den Austausch mit anderen Hundebesitzern sehr, freue mich über die zahlreichen Begegnungen auf Wiese, Feld und im Wald. Diese Treffen in der Natur, bei Wind und Wetter bereichern meine eigenen Gedanken immer wieder neu. Oft stelle ich mir beim Beobachten der Hunde eine Frage, ob wohl auch die Hunde „ins Gespräch“ kommen? So wie wir Menschen.

Wir denken ja meist, die Hunde spielen. Zumindest benennen wir es so. Nach meinen eigenen Beobachtungen glaube ich, dass auch die Hunde Gespräche führen.

Ich erlebe sowohl Begrüßungsrituale, zum Beispiel eine leicht und locker erhobene, friedvoll winkende Rute, „Coolness“, ein Umkreisen, Beschnüffeln. Als auch Abschiedsrituale. Zum Beispiel eine Berührung seitlich am Kopf, hinsitzen und nachschauen.

Da gibt es Verhandlungen über Ressourcen (Stock, Ball), ein gegenseitiges Austesten. Oder Anlocken im Sinne von „Schau, was ich Tolles gefunden habe, willst es auch mal haben, dann hols dir doch,…“

Es gibt Hunde, die sich ihr eigenes wildes „Karussell“ bauen und im Kreis rennen. Dem anderen Hund deutlich zeigen, schau her wie toll ich bin….jetzt lauf doch auch mal mit. Da sind Hunde, die immer in Bewegung und Aktion sind. Und andere Hunde, die sich ablegen, setzen und zuschauen.

Dann gibt es Hunde, die andere Hunde schwungvoll mitziehen. Die hin und her und wieder zurück rennen, um irgendwann gemeinsam in die Ruhe zu kommen.

Immer wieder beobachte ich dieses gegenseitige Mitziehen oder Einpendeln, wenn wir mit Emma den besonders bewegungsfreudigen Hunden begegnen. Ein langsamer werden, während sie zuvor hin und her liefen. Es wirkt wie ein sich Anvertrauen, in die Ruhe kommen. Manche Hunde liegen hin und wälzen sich auf dem Rücken. Lassen sich beschnüffeln. Manche Hunde setzen eine Marke zur Information und trotten cool weiter.

Und noch so viel mehr.

Interessant zu beobachten sind auch Hunde, die in vollkommen angemessener Art und Weise, manchmal schon von weitem bellend, sofort um Abstand bitten. Die so einen aufgeregten wilden Kollegen, der auf sie zu stürmt, nicht haben wollen. Und die sofort zu erkennen geben, dass der andere Kollege jetzt aber bitte erst Mal etwas runterkommt. Dass der da nicht so wild herum zu rennen hat. Oder einfach nur wegbleiben und Abstand halten soll!

Es sind Hunde wie Emma, die Zeit brauchen, ihre Umgebung genau beobachten. Und für die Ansprechbarkeit des „Kollegen“ im Falle einer plötzlich auftretenden Gefahr sorgen wollen.

So erlebe ich immer wieder erstaunt und erfreut all die vielfältigsten Kommunikationsmöglichkeiten der Hunde untereinander und mit den Menschen. Diese Möglichkeiten, die die Hunde alle einfach besitzen und anwenden, wenn man ihnen den Raum und die Zeit gibt.

Ich freue mich sehr, wenn Hunde im Rahmen einer Begegnung auch die Zeit bekommen für ihre Gespräche, die sie brauchen.

Ein schnelles, hastiges „Weitereilen“ ist wohl oft unserem Zeitgeist geschuldet. Einem Zeitgeist, in dem alles immer noch schneller, hektischer, betriebsamer, funktionaler gehen muss und perfekt sein soll. 

Doch dadurch verpassen wir oft die schönsten Dinge,

wie zum Beispiel "ein Gespräch unter Hunden", das so aussehen könnte: